Ein Bericht von Sandra
Ein Leben mit dem Befund Glioblastom – Jetzt im 6. Jahr
In diesem Bericht möchte ich euch Mut machen. Auch mit dem Befund Glioblastom muss das Leben nicht gleich zu Ende gehen.
Man muss kämpfen, stark sein und darf die Hoffnung nicht aufgeben!
Die Symptome. Es begann Anfang 2015 mit Kopfschmerzen in unregelmäßigen Abständen. Seit meiner Pubertät habe ich eine komplex-fokale Epilepsie, die sich ab und zu durch Absencen bemerkbar machte. Doch diese hatte ich zum Glück gut in den Griff bekommen. Wegen der Kopfschmerzen suchte ich Rat bei meinem Neurologen. Dieser meinte, dass es sich um eine Art Migräne handelt.
„Die Kopfschmerzen waren so stark, dass ich mich übergeben musste“
Die Kopfschmerzen wurden häufiger und intensiver. Ab 2016 waren diese so stark, dass ich mich manchmal übergeben musste. Im April 2017 erlebte ich eine Absence, die irgendwie anders war und ein paar Tage später waren die Kopfschmerzen so heftig, dass ich es nicht mehr aushalten konnte.
Die Diagnose. Ich ging zu meinem Hausarzt und dieser wies mich in das Krankenhaus Pinneberg ein. Nach einem MRT war klar, dass ich einen Gehirntumor hatte.
Daraufhin wurde ich in das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in die Neurochirurgie verlegt und sofort operiert. Der Tumor lag rechts direkt hinter der Schläfe in einem Bereich, in dem Prof. Dr. Manfred Westphal und sein Team zum Glück sehr gut operieren konnten. Der gesamte Tumor wurde entfernt und ich überstand die OP gut. Die Kopfschmerzen waren weg und mir ging es sofort sehr viel besser. Kurz nach der OP teilte mir Prof. Dr. Manfred Westphal mit, dass es sich um einen bösartigen Tumor handelt. Die für die genaue Bestimmung der Tumorart erforderliche Laboruntersuchungen waren noch nicht abgeschlossen. Nach sieben Tagen wurde ich aus dem UKE entlassen.
„Als ich die Diagnose bekam war ich geschockt und hatte sehr große Angst“
Ich war jedoch nur kurz über meine Entlassung froh, denn das Warten auf den Laborbefund war eine Qual. Dann erhielt ich die Diagnose: Glioblastom. Als der Arzt mich über die Diagnose und Prognose aufklärte, war ich geschockt und hatte sehr große Angst. Zum Zeitpunkt der Diagnose waren meine Kinder 10 und 14 Jahre alt. Ich war 46. „Ich kann meine Kinder nicht jetzt schon allein lassen. Sie brauchen mich doch noch!“, dachte ich.
In den folgenden Wochen. In den anschließenden sechs Wochen musste ich jeden Tag zur Strahlentherapie ins UKE. Da ich keine Platzangst habe, war es nicht so schlimm und es tat auch nicht weh. Jedoch gingen mir an der bestrahlten Stelle die Haare aus. Ich kämmte meinen Scheitel einfach auf die andere Seite und die langsam kahl werdende Stelle war bedeckt. Bedrückender waren eher die Besuche des Krankenhauses. Was man da alles sah und hörte. Am schlimmsten war es, meine Angst in den Griff zu bekommen. Ich konnte nachts nicht schlafen und meine Ungewissheit war sehr groß.
„Als ich im Internet recherchierte war ich geschockt“
Ich wollte mich über die Krankheit informieren und googelte nach Glioblastom. Das Erste, was ich lass: Glioblastom = Todesurteil. Geschockt suchte ich nach positiven Krankheitsverläufen. Doch ich fand nicht viel und was ich fand, machte mir nur noch mehr Angst. Deshalb beschloss ich, mich nicht mehr im Internet zu informieren.
Die Therapie. Nach der Strahlentherapie begann die Chemo in Tablettenform mit Temodal. Da ich Tabletten gegen Übelkeit einnahm und keine tyraminhaltigen Lebensmittel (z.B. würzige Käsesorten) aß, ging es mir relativ gut. Aber ich wurde immer müder und schlapper. Den Kindern zuliebe musste ich mich sehr zusammenreißen, um den Alltag zu meistern.
„Ein halbes Jahr nach der ersten OP wurden neue Tumorzellen entdeckt“
Alle drei Monate erfolgten die Kontroll-MRT´s. Im November 2017, weniger als ein halbes Jahr nach der ersten OP und trotz der laufenden Chemo waren neue Tumorzellen im MRT erkennbar. Wieder im Bereich der Schläfe. Ich wurde ein zweites Mal operiert und die Tumorzellen konnten zum Glück entfernt werden. Nach der zweiten OP folgte eine stärkere Chemo mit CCNU und Procarbazin.
Ich wurde immer schwächer und bekam Rückenschmerzen. Das Treppensteigen fiel mir immer schwerer. Weil ich einfach zu schlapp und müde war, konnte ich keinen Sport machen und ich spürte, dass sich meine Muskeln immer weiter abbauten.
Auch meine Haare fielen mir langsam aus. Ich ging vorsorglich zu einer Perücken-Beratung. Doch weil ich so viel und dickes Haar habe, war der Haarverlust kaum erkennbar. Ich hatte immer noch genügend Haare auf dem Kopf. Durch die Chemo nahm ich 20 Kilo ab und sah richtig gut aus. Die Krankheit sah man mir kaum an. Das hat mir sehr geholfen. Und ich denke meinen Kindern auch. Mein Kollege meinte sogar, ich sehe aus, als wenn ich auf einer Schönheitsfarm gewesen wäre. Ich erfreute mich daran, mir neue schöne Kleider zu kaufen. Erst fragte ich mich, ob sich das überhaupt noch lohnt. Doch ich hatte Spaß daran Sachen zu kaufen, die ich vorher nicht so angezogen hätte. Mit weniger Kilos sah es einfach besser aus.
Da ich die Chemo so lang wie möglich durchhalten wollte, war ich glücklich, als ich eine Haushaltshilfe an die Seite gestellt bekam. Das half mir und meiner Familie ungemein. Arbeiten konnte ich nicht mehr und ich beantragte die Erwerbsminderungsrente. Die Rentenversicherung stufte mich sofort als voll erwerbsgemindert ein. Nun war ich Hausfrau und Mutter und verbrachte viel Zeit zuhause, in den Wartezimmern des UKE und bei den Ärzten. Gerade in der Corona-Zeit fiel mir manchmal echt die Decke auf den Kopf.
„Mein Immunsystem war komplett geschwächt, ich bekam Gürtelrose“
Je länger ich die Chemo durchhielt, umso weniger weiße Blutkörperchen hatte ich. Ab und zu bekam ich eine Bluttransfusion. Wenn die Werte noch schlechter wurden, legte ich längere Pause zwischen den Chemozyklen ein. Mein Immunsystem war komplett im Keller. Im Januar 2020 bekam ich im Mundbereich Herpes Zoster, die sogenannte Gürtelrose und wurde zur Behandlung stationär im UKE aufgenommen. Es war sehr schmerzhaft und unangenehm. Doch die Infektion heilte schnell ab und nach wenigen Tagen durfte ich wieder nach Hause.
Über zweieinhalb Jahre hatte ich bis dahin die Chemo durchgehalten. Aber mein geschwächtes Immunsystem erlaubte keine weitere Chemo. Und als ich zu diesem Zeitpunkt wieder zur Vorstellung bei Prof. Dr. Manfred Westphal war sagte dieser ganz direkt zu mir: „Sie sehen richtig schlecht aus, so kann das nicht weitergehen, jetzt ist Schluss mit der Chemotherapie“ und zu meinem Mann „und Sie braten ihr von heute an regelmäßig ein ordentliches Steak“. Da mussten wir alle lachen. Und ohne zu viel zu verraten: Es ist bisher gut gegangen…
Die Nebenwirkung. Die Chemo hatte auch meine Nieren angegriffen. Mein Kreatininwert ging immer weiter in die Höhe. Der Nephrologe stellte fest, dass beide Nieren geschrumpft sind und zusammen nur noch 20 Prozent Leistung bringen. Durch die schlechte Nierenfunktion bildeten sich zu wenige rote Blutkörperchen. Durch den schlechten Blutsauerstoffgehalt war ich auch ohne Chemo müde und kaputt. So konnte es nicht bleiben. Damit sich meine roten Blutkörperchen schneller bilden, bekam ich EPO – Jetzt werde ich gedopt wie einige Radsportler. Das merke ich an meiner Fitness und kann sogar ab und zu wieder zum Sport gehen.
Meine Nieren machen mir nach wie vor Sorgen. Ich habe davor Angst, irgendwann an die Dialyse zu müssen. Mein Arzt meint, das könnte in fünf bis sechs Jahren der Fall sein. Mit dieser Aussage muss ich auch erst einmal fertig werden. Alles nicht so einfach! Ich muss weiter stark und achtsam bleiben.
Ich versuche zwei Liter am Tag zu trinken und koche ohne Salz. Nachts kann ich häufig nicht gut schlafen. Entweder muss ich vom vielen Trinken auf die Toilette oder meine Füße und Beine schmerzen. Wahrscheinlich löst die Nierenunterfunktion die Beinkrämpfe aus. Diese treten oft nachts auf und sind so stark, dass ich nicht schlafen kann und stattdessen im Haus herumwandere.
Die Angst begleitet mich auch weiterhin bei jedem MRT-Termin. Routine kommt auch nach mehr als sechs Jahren nicht auf, obwohl alle MRT´s seit November 2017 unauffällig sind. Zum Glück, denn das ist bei meiner Diagnose das Allerwichtigste!
Die Lebensfreude. Trotz allem bin ich froh und glücklich am Leben Teil zu haben. Ich kann meine Kinder aufwachsen sehen und genieße die schönen Momente viel intensiver. Während der Chemo waren wir in London, Paris, Brüssel sowie auf Mallorca und Fuerteventura. Einfach mal rauszukommen und etwas Schönes mit meiner Familie zu unternehmen gibt mir Auftrieb.
Die wichtigste Stütze ist immer noch mein Mann, gefolgt von meinen Kindern. Meine Familie und Freunde stehen mir mit Rat und Tat zur Seite. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich versuche immer mehr den Alltag einkehren zu lassen und diesen zu bewältigen. Aber auch zu genießen! Schöne Kleinigkeiten, die ich vorher gar nicht so wahrgenommen hatte, fallen mir viel mehr auf und erfreuen mich. Doch es ist nicht so einfach. Man muss weiter diszipliniert und stark sein!
„Ich muss nach wie vor regelmäßig zum MRT und zur Blutkontrolle“
Ich habe großes Glück im Unglück, dass mich so großartige fachliche und menschliche Ärzte von Anfang behandelt haben. Mein Dank geht insbesondere an meine Onkologin Prof. Dr. Judith Dierlamm und meinen Neurochirurgen Prof. Dr. Manfred Westphal. Ohne die beiden hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft! Sie sind immer für mich da und begleiten mich. Dafür bin ich sehr dankbar! Ich muss weiterhin alle 4 Monate zum MRT und jeden Monat zur Blutkontrolle ins UKE.
Durch die Erkrankung sehe ich vieles mit anderen Augen. Was ist wirklich wichtig? Wichtig sind mir: Gesundheit, Liebe, Freundschaft und Hoffnung. Mit meinen besten Freundinnen unternehme ich regelmäßig kleine Ausflüge. Unser Motto ist: „Collect moments not things!“ Diese schönen Ablenkungen sind wie Medizin für mich!
Zum Schluss möchte ich einen Rat geben: Seid stark und kämpft! Es gibt immer Ausnahmen und Wunder. Man darf die Hoffnung nicht gleich aufgeben. Es lohnt sich!
Anni Hofmann Stiftung
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